Am 16. August ist Michael Sperberg-McQueen,
der „Erfinder von XML“, im Alter von nur 70 Jahren gestorben.

Präziser formuliert ist Michael Hauptautor der XML-Spezifikation – und er war ein wunderbarer Lehrer und inspirierender Gesprächspartner. Durch seine Studienjahre in Stanford, Göttingen und Paris war er Germanist, Mediävist und Komparatist, und so verband er ein profundes Verständnis für Texte und Inhalte mit seinem tiefen technologischen Know-How. Diese Verbindung war wohl das Geheimnis hinter dem Konzept und dem Erfolg von XML.

Michael begleitete mich mein gesamtes bisheriges Berufsleben.

Ich durfte ihn schon 1994 im Rahmen seiner SGML-/TEI-Kurse an der Universität Tübingen kennenlernen. Ich studierte damals Verlagswirtschaft an der Hochschule der Medien, wo es noch keine Vorlesung in Richtung digitaler Textformate, crossmediales Publizieren o.ä. gab. Entsprechend faszinierten mich seine visionären Ausführungen zum Einsatz von SGML in den Geisteswissenschaften – die Brücke zum Verlagscontent war naheliegend. Allerdings war SGML so komplex, dass es quasi keine Lösungen gab, um die Technologie wirtschaftlich einzusetzen. Nur wenige Fachinformationsverlage hatten bereits mit SGML experimentiert.

Bei einem späteren Kurs im Frühjahr 1997 hatte Michael dann DIE große Neuerung im Gepäck: mit XML war das Nachfolgeformat für SGML in Planung – einfacher, übersichtlicher und für den breiten Einsatz konzipiert. Zu dieser Zeit hatte ich gerade die Geschäftsführung der pagina GmbH übernommen und die Aussicht auf ein einfaches universelles Datenformat eröffnete völlig neue Möglichkeiten.

In einem denkwürdigen Treffen mit ihm am Rande dieses Kurses diskutierten wir, in wieweit das neue Format XML für die Abbildung von Verlagsinhalten geeignet sei und strategisch relevant werden würde. Michael – in seiner einzigartigen Verbindung aus Technologie-Spezialist und Geisteswissenschaftler – sprang sofort auf das Thema an und ermutigte mich, diesen Weg systematisch zu beschreiten.

Michael hat damit wesentlichen Anteil daran, dass wir die pagina systematisch zur XML-Spezialistin für die Verlagsbranche weiterentwickelt haben, und dass ich noch im selben Jahr den Lehrauftrag und später eine Vertretungsprofessur für den frisch geschaffenen Bereich „Elektronisches Publizieren“ an der Hochschule der Medien übernommen habe, wo die XML-Ausbildung seitdem zu einem festen Bestandteil des Curriculums für den Verlagsnachwuchs geworden ist.

Über drei Jahrzehnte war Michael für mich ein wichtiger Gesprächspartner, vor allem in strategischen Fragen. Er hat mich maßgeblich motiviert, das Datenformat parsX zum offenen Branchenstandard weiterzuentwickeln und daran auch aktiv mitgewirkt. Das zentrale Gutachten zum Konzept und der Umsetzung des parsX-Schemas stammt aus seiner Feder; es ist für uns bis heute das wichtigste Qualitätssiegel und Ansporn zugleich.

Michaels Scharfsinn und strategischer Weitblick haben während der letzten Jahrzehnte maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Disziplin der „Digital Humanities“ entwickeln konnte, mit der sein Name für immer verbunden bleiben wird. Die nächste Generation von Geisteswissenschaftler:innen wird ohne seine rhetorische Brillanz und seinen Witz, mit denen er uns in den unzähligen Keynotes und Vorträgen motiviert und angespornt hat, aufwachsen müssen.

Dass heute weltweit die Verlage auf einem extrem hohen Niveau mit medienneutralen Daten arbeiten, ist nicht zuletzt Dein Verdienst, lieber Michael.

Wir werden Dich nie vergessen.
Ruhe in Frieden!

Tobias Ott